Lebensgefühl und Politik in Mecklenburg-Vorpommern. Lebensweltliche Grundlagen politischer Realitäten

Die Bilanz des Programms "Aufbau Ost" ist ernüchternd. Obwohl seit mittlerweile zwei Jahrzehnten über verschiedene Transfersysteme ungeheure Geldmengen in die neuen Bundesländer geflossen sind, kann man kaum eine signifikant höhere wirtschaftliche Dynamik feststellen. Der Politik der Transfersysteme liegt die Auffassung zugrunde, dass sich gesellschaftlich Wirklichkeit quantifizierend erfassen und steuern lässt. Angesichts des relativ geringen Erfolgs derartiger Maßnahmen hebt sich die Problemstellung ab, welche Rolle diejenigen Aspekte der gesellschaftlichen Wirklichkeit spielen, die sich quantitativ nicht erfassen lassen? Diese Aspekte, die man als "soft facts" bezeichnen kann, stehen den so genannten "hard facts" gegenüber, die aber allein nicht genügen, um gesellschaftliche Prozesse zu erklären. Eine erweiterte Perspektive unternimmt den Versuch, Phänomene einzubeziehen, die man mit Ausdrücken wie "Lebensgefühl", "Zeitgeist" oder "gesellschaftliches Klima" bezeichnet. Wenn die Rede von "Lebensgefühl" ist, geht es dabei nicht um flüchtige individuelle Gefühle, sondern um die kollektiven Gefühle, die anhalten und den Lebensalltag unauffälliger, aber dennoch maßgeblich beeinflussen. Solcherlei "klimatische" Phänomene werden ganz grundsätzlich bisher als Steuerungsmedium in der politischen Philosophie und Wissenschaft nicht ernst genug genommen.

Die thematische Öffnung, welche das Projekt vornimmt, verspricht neue Anregungen für die Praxis der Politik. Denn politischer Einfluss wird gewöhnlich relativ formal über die Kanalisierung von Finanzflüssen ausgeübt, über Abgaben und Zuwendungen. Was die Menschen aber mit dem gewonnenen Geld anfangen, ist ihnen selbst überlassen, d.h. Politik verzichtet bei diesem Instrument (weitgehend) auf Sinnstiftung, Orientierung und Motivation der Menschen. Darf Politik die Menschen in ihrem Lebensgefühl auf diese Weise sich selbst überlassen? Oder ist sie vielmehr sogar verpflichtet vor dem Hintergrund eines eindeutig als negativ bewerteten Lebensgefühls nicht nur formale, sondern gerade inhaltliche Angebote zu machen, die die Zuversicht der Bürger stärken?

Das Schaubild gibt einen Einblick in den durch das Projekt thematisierten Problemzusammenhang gesellschaftlicher Realität.