Eindrücke vom Workshop "Gefühle im öffentlichen Raum"

Blick ins Publikum
Blick in den Veranstaltungsraum
Referenten

Am 27. September 2104 fand der projektbeschließende Workshop "Gefühle im öffentlichen Raum" statt. Die Veranstaltung fand bei den Zuhörern reges Interesse und die Beiträge haben aus vielen Perspektiven die Virulenz  und Einschlägigkeit kollektiver Gefühle beleuchtet. Aufgrund der gelungenen Tagung wird angestrebt, die Beiträge in einem Sammelband zu publizieren.

Um einen Eindruck vom Workshop zu vermitteln, finden Sie hier einige Impressionen. Zudem können Sie hier das Programm finden.

Tagungsbericht zum Workshop am 6.9.2014

Publikum während Diskussionen mit Judith Zander
Vorstellung der Studie durch das Projektteam
Teilnehmer der Podiumsdiskussion

„Wer sind wir? Wie geht es uns? Und was bedeutet das? Lebensgefühl und Politik in Mecklenburg-Vorpommern“

„Kühl“, „schweigsam“, „provinziell“, „träge“, „passiv“ – so lauten typische Klischees über die Bewohner von Mecklenburg-Vorpommern. Doch wer sind wir wirklich? Haben diese Klischees etwas mit dem Lebensgefühl in Mecklenburg-Vorpommern zu tun? Und welche Rolle hat dieses Lebensgefühl, wenn es darum geht, das Land für die Zukunft zu verändern?

Fragen wie diese werden zurzeit in mehreren wissenschaftlichen Studien untersucht. Sie bestimmen aber ganz erheblich auch die Arbeit von Filmschaffenden und Schriftstellern. Alle diese Versuche haben gemeinsam, dass sie ein gerade nicht zahlenmäßig erfassbares Phänomen wie das „Lebensgefühl" oder das „gesellschaftliche Klima" in den Blick nehmen.

Auch für die politische Arbeit hat das Lebensgefühl im Lande eine enorme praktische Relevanz. Die zentrale Idee dabei ist: Das tatsächliche Selbstbild Mecklenburg-Vorpommerns ist ein wesentlicher Schlüssel zur Gestaltung der Lebenswirklichkeiten in diesem Land. Insbesondere für die Entwicklung eines tragfähigen bürgerlichen Engagements kommt der Ausbildung eines Klimas des Hinsehens, Helfens und Mitmachens große Bedeutung zu.

Diesem Themenkomplex widmete sich der Workshop: Am 6.9.2014 trafen interessierte Bürgerinnen und Bürger mit Experten aus Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zusammen, um gemeinsam über das gegenwärtige Selbstbild und das Lebensgefühl von Mecklenburg-Vorpommern nachzudenken.

Es gab drei verschiedene Schwerpunkte, die jeweils durch eine bestimmte Perspektive bedingt waren, nämlich die künstlerische, die wissenschaftlich-empirische und die praktische Perspektive. Zunächst begann der Nachmittag mit einem längeren Ausschnitt aus dem preisgekrönten Dokumentarfilm „Am Ende der Milchstraße“ von Leopold Grün und Dirk Uhlig. Der Film porträtiert in einer vielschichtigen Erzählweise eine Mecklenburger Dorfgemeinschaft, die sich mit ihrem Bleiben-Wollen dem Trend zum Verfall der ländlichen Region entgegensetzen. Im anschließenden Gespräch mit den Regisseuren ging es um die Frage, wie es filmisch gelingt, ein bestimmtes Lebensgefühl, das zugleich über jene Dorfgemeinschaft hinaus verallgemeinerbare Züge hat, einzufangen. Ebenso wesentlich war es aber auch, die politische Bedeutung dessen herauszustreichen, was der Film durch seine besondere Machart erreicht: Den Menschen Raum geben, Zeit geben, ihre Geschichte zu erzählen, ihre Erfahrung zu reflektieren und einander mitzuteilen.

Ein ähnlicher Gedanke steht auch im Hintergrund von Judith Zanders Roman „Dinge, die wir heute sagten“, aus dem die Autorin im weiteren Verlauf des Nachmittags las: Hier geht es zwar um Fiktion und nicht um Dokumentation, aber die Erzählweise ist der in „Am Ende der Milchstraße“ durchaus ähnlich. Die Geschichte wird in der Perspektive verschiedener Charaktere behutsam entfaltet, womit zugleich eine prägnante kollektive Befindlichkeit sichtbar wird. Nicht zuletzt, so erklärte Zander im anschließenden Gespräch, habe sie auch den Wunsch gehabt, etwas Typisches der Menschen aus jener Region zu Wort kommen zu lassen, in der sie aufgewachsen sei, nämlich Vorpommern. Überraschend einig waren sich sowohl Grün und Uhlig einerseits und Zander andererseits darin, dass sie bei aller bleibenden Distanz die von ihnen porträtierten Gemeinschaften keineswegs als verunglückte Lebensformen wahrnehmen – übrigens ganz im Gegensatz zum überregionalen Feuilleton, dessen Kommentatoren hier zumeist nur Härte und Perspektivlosigkeit zu sehen vermochten.

Den zweiten Schwerpunkt bildete die Vorstellung der Ergebnisse einer qualitativen Studie zu „Lebensgefühl und Politik in Mecklenburg-Vorpommern“ und deren Diskussion mit Prof. Dr. Michael Großheim, Dr. Steffen Kluck und Dr. Henning Nörenberg. Als ein Hauptergebnis der Studie kann die Beobachtung eines Stillstand-Paradoxons gelten, das gegenüber der oft zitierten gute Stimmungslage im Land die Verhältnisse etwas differenzierter in den Blick nimmt: Im Grunde wird die eigene Lage (Ruhe, schöne Natur, Familiarität, Gemeinschaft) insgesamt durchaus als gut erlebt, wenn nur die äußeren Rahmenbedingungen nicht wären (Finanznot, demographischer Wandel, ökonomische Lage, Arbeitslosigkeit). Der Hintergrund des Paradoxons scheint dabei eine oft nur wenig bewusste, aber dafür im alltäglichen Handeln sich umso nachhaltiger ausprägende Sehnsucht nach Ruhe und Unschuld zu sein. Manche der Befragten fühlen sich zum Beispiel von der Politik ungehört, erwarten aber zugleich von ihr die Lösung aller Probleme. Die Unzufriedenheit mit der Politik führt in diesen Fällen also nicht zu Eigenengagement, weil man dazu die eigene Ruhezone verlassen müsste.

Neben methodischen Fragen wie der nach der psychologischen Repräsentativität einer qualitativ angelegten Studie wurde diskutiert, inwieweit auch die so genannten Wende-Gewinner sich selbst in jenem Beobachtungsbild wiederfinden können. Die verschiedenen Teilnehmer des Workshops brachten weitere Beobachtungen in das dargestellte Bild ein, zum Beispiel die Zunahme von politischen Ohnmachtserfahrungen in einigen ländlichen Regionen Mecklenburgs oder die Rolle der Geschichte des Landes. Große Einigkeit bestand darüber, dass die vorgestellte Studie rund um die Hauptbeobachtung wertvolle Schlüsselkategorien zu Tage gefördert hat, deren weitere (u.a. regionale und zeitliche sowie vergleichende) Differenzierung durch zukünftige Studien vielversprechend ist.

Das jeweilige Lebensgefühl als Mitspieler in politischen wie auch zivilgesellschaftlichen Gestaltungsprozessen genauer kennenzulernen, erschien den meisten Teilnehmern des Workshops durchaus ratsam, wenn vermieden werden soll, dass solche Gestaltungsprozesse an den Menschen vorbei ins Leere gehen, an die sie doch eigentlich gerichtet sind. Strittiger dagegen war die Frage, inwieweit man das Lebensgefühl z.B. mit Imagekampagnen verändern kann und ob man es – selbst mit den besten Absichten – überhaupt darf. Ein starkes Pro-Argument lautete, dass Mecklenburg-Vorpommern als Region, ob es wolle oder nicht, im Wettbewerb mit anderen Regionen stehe – nicht nur um Touristen, sondern auch um Investoren, qualifizierte Fachkräfte, Studierende usw. – und es schwer werde mitzuhalten, wenn die Region kein positives Lebensgefühl zu bieten habe. Ein wichtiges Gegenargument verwies darauf, dass gerade mit Blick auf höchst problematische Versuche der Vergangenheit, ein bestimmtes Lebensgefühl zu prägen, durchaus Vorsicht angebracht sei. In diesem Zusammenhang könnte die öffentliche wie ergebnisoffene Thematisierung und Reflexion des Lebensgefühls ein aussichtsreicher Weg sein.

Den dritten Schwerpunkt bildete am Abend die Podiumsdiskussion, die sich mit der Hauptfrage „Was tun?“ den praktischen Anknüpfungsmöglichkeiten des zuvor Erörterten widmete. Hier hoffte man, ein Stück konkreter werden zu können als bisherige Schlussfolgerungen aus vergleichbaren Studien, die für die Zukunft ganz allgemein ein kluges und beständiges staatliches Handeln empfehlen. Die Diskutanten auf dem Podium deckten durch ihre vielfältigen Erfahrungen in verschiedenen Tätigkeitsbereichen ein breites Spektrum ab. Manfred Keiper kennt als selbständiger Buchhändler in Rostock einerseits die unternehmerische Perspektive sehr gut, versteht sich aber vor allem als Kulturvermittler, der sich neben seiner Präsenz in überregionalen Kontexten (u.a. zeitweise Mitglied der Jury für den Deutschen Buchpreis) für zahlreiche kulturelle Events vor Ort engagiert. Richard Scherer ist als Soziologe hervorgetreten mit Analysen der friedlichen Revolution in Rostock und jüngst mit kritischen Einschätzungen zur Artamanenbewegung in Mecklenburg, zugleich ist er Vorstandsmitglied des Vereins Rothener Hof e.V. und engagiert sich im Rahmen dieses Projekts für die Existenz eines öffentlichen Raumes in einer strukturschwachen ländlichen Region. Peter Kranz-Glatigny ist ausgebildeter Journalist und übernahm nach seiner Zeit beim ZDF die Leitung des Landesmarketing Mecklenburg-Vorpommern, zu seinen Aufgaben gehört u.a. die Imagekampagne für das Land. Die Diskussionsteilnehmer waren sich schnell einig über das kulturelle „Basisprinzip“, d.h. dass der Blick der Landespolitik sich in Zukunft schärfen müsse für das, was an „kleinen“ Projekten bereits vor Ort im Wachstum begriffen ist. Hier ließe sich mit verhältnismäßig geringem Aufwand das, was an guten Ideen und funktionierender Praxis an vielen Orten im Land schon da ist, finanziell und strukturell fördern, anstatt – wie es oft wahrgenommen wird – „von oben“ Projekte zu implantieren, die den konkreten Bedingungen vor Ort zu wenig Rechnung tragen. Scherer und Keiper konnten dies vor ihrem jeweiligen Erfahrungshintergrund an verschiedenen einschlägigen Beispielen illustrieren. Kranz-Glatigny betonte ebenfalls die Wichtigkeit des „Basisprinzips“, argumentierte aber zugleich für die Bedeutung von Großprojekten für die Entwicklung der Region.

Mit Blick auf dieses Diskussionsergebnis stellte sich die Frage nach der Repräsentativität, die bereits bei der Diskussion der Ergebnisse der Studie eine wichtige Rolle spielte, noch einmal neu: Wie repräsentativ sind die von den Teilnehmenden des Workshops entwickelten Perspektiven eigentlich im Bezug auf die Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger im Land? Wie lassen sich vor dem Hintergrund dieser Frage die Erfolgschancen des kulturellen „Basisprinzips“ einschätzen? Und wie sicher können wir uns sein, dass dem dominanten Lebensgefühl der Region nicht eher eine Art „Gutsherrenprinzip“ entspricht, so dass viele im Stillen damit zufrieden wären, wenn ein Privater, der genug Geld mitbringt, im Ort als „Macher“ auftritt und sich um alles kümmert? Insofern erscheinen für die Zukunft weitere öffentliche Diskussionen sinnvoll, in denen die verschiedenen Fragen zur Umsetzung der jeweiligen Prinzipien genauer geklärt werden können.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Workshop Differenzierungsangebote gegenüber den gängigen Klischees (wie dem von der Rückständigkeit und Perspektivlosigkeit) gerade auch im Hinblick auf die ländlichen Regionen Mecklenburg-Vorpommerns zu Tage gefördert hat. Überdies konnte er einen Eindruck von der politischen Bedeutung vermitteln, die solche Räume des Zu-Wort-Kommen-Könnens haben – einen Eindruck, von dem zu hoffen ist, dass er sich in weiteren Veranstaltungen dieser Art genauer ausprägen werde. Mit Blick auf die weitere wissenschaftliche Erforschung des Lebensgefühls in Mecklenburg-Vorpommern wurden wertvolle Differenzierungsansätze herausgearbeitet, die für zukünftige Studien eine Richtung weisen. Als praktische Anschlussmöglichkeit wurde vor allem das kulturelle „Basisprinzip“ dargestellt.

Rundfunkberichte

Am Sonntag, 17.11., gab es zwischen 7.45 und 8.00 Uhr einen Beitrag zum Projekt beim Radiosender NDR1, der Schwerpunkt liegt hierbei auf dem Thema "Glaube". Einen Mitschnitt der Sendung (freundlicher Weise vom NDR zur Verfügung gestellt) finden Sie hier.

Am 19.11. wurde zusätzlich in der Sendung "Forum" desselben Senders nach 20 Uhr ein weiterer Beitrag mit Bezug auf unser Projekt ausgestrahlt. Den entsprechenden Mitschnitt finden Sie hier.

Forschung trifft Forschung

Poster des Projekts

Das Projekt war mit einem Poster am Treffen der Rostocker Forschungsplattform "Forschung triff Forschung". Dieses Forum bietet die Möglichkeit, mit anderen akutellen Projekten an der Universität in Austauch zu treten.

Bericht zum Projekt in der "FAZ"

In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 17. April 2013 (Seite 4) ist ein Hintergrundbericht über die Arbeit des Projektes erschienen. Autor des Artikels ist der Norddeutschlandkorrespondent der "FAZ", Frank Pergande.

Arbeitstreffen in Köln

Arbeitstreffen in Köln

Am 21. Februar fand in Köln beim rheingold Institut eine eintägige Arbeitsbesprechung zur empirischen Studie über das Lebensgefühl in Mecklenburg-Vorpommern statt.